Grauer Januarmorgen vor exakt 20 Jahren. Es ist 6 Uhr morgens und für mich Zeit zum Aufstehen. Draußen ist es kalt und regnerisch. Mein Vater ist schon wach. Er geht morgens sehr früh aus dem Haus. Ich rufe ihm verschlafen: „Hab einen schönen Tag und ich habe dich sehr lieb“ aus meinem Hochbett entgegen. Er ist müde, knurrt irgendetwas. Ich frage mich, ob er es gemerkt hat, dass ich ihm gestern seine Schokolade aufgefuttert habe. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Er verabschiedet sich wie jeden Morgen. Meine Mutter wird wach, meine Schwester und ich machen uns fertig für die Schule. Ich stecke mitten in den Prüfungen und bin sehr gestresst.
Als ich von der Schule zurückkomme, sitzt meine Mutter verheult im Wohnzimmer. Um sie herum zwei liebe Freunde. Ich verstehe nicht was passiert ist, brauche aber auch nicht danach zu fragen. Ich werde gebeten, mich zu setzen. Meine Mutter sagt: „Dein Vater hatte heute morgen einen Herzinfarkt – er ist tot.“ Mir wird ein wenig schwindelig aber ich bleibe ganz ruhig. Ich verstehe die Lage nicht ganz. Was bedeutet das jetzt? Was wird geschehen? Ich möchte nur ins Bett, noch einmal aufwachen und erstaunt bemerken, dass alles hier nur ein böser Traum ist.
Irgendwann kann ich nicht mehr und fange an zu weinen. Ob es daran lag, dass ich ihm die Schokolade aufgegessen habe? Bin ich schuld? Was wäre gewesen, hätte er seine Schokolade nach der Arbeit gehabt? Doch ich kann nicht lange trauern. Ich möchte wieder Normalität. Die tritt nicht ein. Alles ist dramatisch und düster. Ich kann kaum noch atmen. Mein Freund steht mir bei. Doch drei Tage später erschießt sich sein bester Freund und da bleibt die Frage, wer tröstet nun wen.
Mein Vater wurde nur 41 Jahre alt. Er hat jeden Tag 17 Stunden gearbeitet. Es gab keine Pause, die hat er sich nie gegönnt. Er hat nie auf seinen Körper gehört und eine Halsentzündung so arg verschleppt, dass es ihm auf sein Herz schlug. Hat alle Anzeichen missachtet.
Das war vor 20 Jahren. Heute ist es mit dem NICHT BEACHTEN der „kleinen“ Krankheiten noch viel extremer. Es ist so wichtig, auf seinen Körper zu hören und gegebenenfalls auch mal zu Hause zu bleiben und eine Krankheit auszukurieren. Achtsamkeit im Alltag. Eigentlich schon undenkbar, oder? Jeder hat Angst um seinen Job, hat irre viele Projekte auf dem Tisch liegen, die nach Fertigstellung schreien. Doch HALT! Gesundheit und unser geistiges Wohlbefinden – sind irre wichtig, oder etwa nicht? Wir können das Gespür für unseren Körper neu entdecken. Bei Erschöpfung einfach mal ausruhen. Alles ausschalten – still sein.
Grenzen setzen
Ich glaube dies ist ein wichtiger Punkt. Wenn wir nicht mehr können – um Hilfe bitten. Oder einfach mal zugeben, dass uns alles grad einfach zu viel ist. Dafür wird es doch wohl Verständnis geben, oder? Wir müssen nicht wie Roboter durch die Gegend laufen. Uns nicht ständig etwas beweisen. Nicht im Konkurrenz-Druck verweilen. Wir sind Menschen und unsere Kraft ist hin und wieder auch begrenzt. Wer sich öfter mal ausruht, nicht ständig im Stress badet – der wird auch nicht so oft krank. Es hat auch viel mit der inneren Einstellung zu tun.
So, nun mal kurz die Arbeit fortlegen, die Augen schließen, die Schultern entspannen und tief durchatmen. So lang, bis langsam wieder ein wenig Raum im Köper entsteht. Ach ja, das Leben im JETZT genießen: keine schlechte Idee. Wer weiß schon, was MORGEN sein wird ♥
20 Comments
Ken Takel
7. Januar 2014 at 19:00Oh Man. Das ist aber traurig.
Ich weiß nicht ob es heutzutage schlimmer ist als früher aber es wird einem im Job gefühlt immer schwerer gemacht auf sich zu achten.
Ich kann dir nur jedenfalls nur zustimmen.
Madhavi Guemoes
7. Januar 2014 at 19:04Ja, das stimmt. Der Druck ist hoch. Dennoch sollte man achtsam bleiben. Liebst, Madhavi
anidenkt
7. Januar 2014 at 19:12danke! Ich drück dich.
Laptop zu und ab ins Restaurant! 🙂
Madhavi Guemoes
7. Januar 2014 at 19:13Es lebe das Leben xxx
Ringe.Anke Baumgarten
7. Januar 2014 at 19:18Liebe Madhavi,
da sitzt jetzt ein fetter Kloß in meinem Hals vor lauter Schwere.
Und ich wollte Dir immer mal schreiben, da ich gerne und oft an Dich denke, Du ab + an mit Deiner Fahrradkarre an mir vorbeifährst in Winterhude … immer zu spät für einen Gruß bis ich kapiere das warst ja Du … und gerne Deinen Blog verfolge.
Und gerade heute zum Yoga möchte … aus Trägheit fast wieder einen Rückzieher mache und nun Deine so persönlich Geschichte.
Puh – ich schicke Dir viele liebe Grüße, mir fehlen die Worte … ich denke sehr gerne an Dich und Deine Stunden bei Yoti-Yoga zurück.
Du hast mich „auf den Weg gebracht“! Dickes Danke dafür.
Anke
Madhavi Guemoes
7. Januar 2014 at 19:20Ach, Du Liebe, nein, Schwere sollst Du nicht verspüren! Geh zum Yoga, das wird Dir so gut tun. Ich freu mich auf bald, Madhavi
Sina *froekenanis
7. Januar 2014 at 20:13Liebe Madhavi,
ich verfolge deinen Blog schon eine Weile und finde es immer wieder bewundernswert, wie du so wichtige Dinge im Leben auf den Punkt bringst und dabei trotzdem nicht belehrend bist. Einfach nur ehrlich und wahr. Ich habe schon viel von dir gelernt, danke dafür 🙂
Dieser Beitrag trifft mich und mein vergangenes Leben sehr, es wäre mir eine Herzensangelegenheit, wenn ich ihn auf meinem Blog verlinken dürfte. Natürlich nur mit deinem Einverständnis.
Liebste Grüße!
Sina
Madhavi Guemoes
7. Januar 2014 at 20:14Liebe Sina, das darfst Du gern tun. Vielen Dank für Deine lieben Worte! Herzlichst, Madhavi
Kathrin
7. Januar 2014 at 20:17Danke für deine persönliche Geschichte! Ich hoffe sehr, es öffnet den Leuten mal die Augen und sie fangen an, sich um sich zu kümmern. Und nicht erst dann, wenn Probleme auftauchen…
Herzlichst!
Madhavi Guemoes
7. Januar 2014 at 20:19Ja, das wäre wünschenswert. Wir können nur als gutes Beispiel voran gehen 🙂 Liebst, Madhavi
Heike
7. Januar 2014 at 22:16Liebe Madhavi, danke für diese erneut ehrlichen Zeilen, es berührt mich sehr dass du uns daran teilhaben lässt … es stimmt mal wieder sehr nachdenklich, aber all das nachdenken bringt einen auch nicht weiter wenn man nicht auch was TUT! Es lebe Yoga, es lebe die Achtsamkeit, die positiven Gedanken, die ausgewogene Ernährung und all die schönen Erlebnisse 🙂 Sei ganz lieb gegrüßt :-*
Madhavi Guemoes
7. Januar 2014 at 22:51Danke Heike, für Deine lieben Zeilen. Umarmt, Madhavi
ɴᴇᴍᴏ ᴋᴀʀᴏᴡ (@Nemoflow)
8. Januar 2014 at 17:35Bewegende halskloßige Geschichte die trotz aller Traurigkeit anregt und Mut macht. Die ewigen Themen des Lebens: Festhalten, Loslassen, Akzeptanz, Schuld. …und wieder so toll und dicht geschrieben. Danke dafür!
Madhavi Guemoes
8. Januar 2014 at 18:03Vielen Dank!!!
jule
9. Januar 2014 at 21:53hallo madhavi,
ich habe hier ja nun schon einiges gelesen und so oft triffst du an der richtigen stelle. ich danke dir für deine anstupsenden worte
alles liebe
jule
Madhavi Guemoes
9. Januar 2014 at 23:10Liebe Jule, vielen Dank für Deine netten Kommentar! Lieber Gruß, Madhavi
Annette
7. Oktober 2014 at 14:17Liebe Madhavi, ich lese oft und gerne in Deinem Blog, aber diese so persönliche Geschichte hat mich besonders berührt und mitten ins Herz getroffen … es war der 11. August 1987, als mein Vater mit 57 Jahren plötzlich und völlig überraschend an einem Herzinfarkt starb … die Gefühle von Trauer, Wut, Ohnmacht und Verlust trotz all der Zeit aber immernoch sehr präsent. Freundlich, aber bestimmt Grenzen zu setzen und rechtzeitig um Hilfe zu bitten sind Dinge, die mir trotz allem immernoch schwer fallen. Yoga und Meditation helfen mir dabei, mich in der Hektik des Alltags immer wieder auf das Wesentliche zu fokussieren. Danke für Deine Anregungen und Mut machenden Worte!
Annette
Madhavi Guemoes
7. Oktober 2014 at 14:21Liebe Annette, vielen Dank für Deine Worte. Ich nehme Dich jetzt mal virtuell in den Arm. x Madhavi
cahle02@gmail.com
19. September 2015 at 18:49Liebe Madhavi, dieser Beitrag hat mich so berührt und ich sitze hier mit Tränen in den Augen. Es ist nicht nur deine Wortwahl, sondern auch die Tatsache das er 1:1 hätte von mir sein können. Liebe Grüße Carina
Madhavi Guemoes
20. September 2015 at 20:16🙂