Seelenfutter

Hara – Sitz der Willenskraft

5. März 2015
Hara

Wir haben eine unermessliche Lebensquelle in uns, das Hara. Es liegt ungefähr vier Zentimeter unterhalb des Bauchnabels. Ich beschäftige mich seit 20 Jahren mit dem Hara, zuerst aus gesundheitlichen Gründen und später aus heilenden. In meiner Yogapraxis ist die Aufmerksamkeit auf das Hara sehr bedeutsam, es hilft mir zu balancieren, schwierigere Stellungen zu meistern, oder auch in ihnen eine längere Zeit zu verweilen. Aber natürlich auch im Alltag.

Das Wort „Hara“ ist japanisch und bedeutet Bauch und „Quelle des Lebens“. Gleichzeitig bezeichnet der Begriff jedoch auch eine innere Haltung von Klarheit, Stille und Zentrierung. Du kennst bestimmt das Wort „Harakiri“.  Beim Harakiri wird ein Messer in das Hara, das Lebenszentrum, hineingestoßen. Auf eine Art begehen auch wir Frauen Harakiri, wenn wir unseren Bauch schlecht behandeln und zurückdrängen: durch enge und einzwängende Kleidung, in der der Bauch nicht atmen kann, durch das Baucheinziehen – und vor allem durch unsere kritische und ablehnende Haltung ihm gegenüber. Wir opfern unseren natürlichen Bauch einem künstlichen Schönheitsideal. Diese Einstellung ist nicht lebensbejahend und kann auf Dauer sogar schädlich sein.

In der chinesischen Medizin wird der Bauch als Quelle der kosmischen Energie angesehen. Hier liegt das Hara und gilt als das „Tor des Lebens“. Ist es „verschlossen“, sind wir energetisch unterversorgt. Das ist dann der Fall, wenn wir den positiven Kontakt zu unserem Bauch verloren haben, weil wir die Lebensenergie zum Beispiel durch beengende Kleidung abschnüren, sie also dort nicht mehr frei fließen darf.

Osho benutzt das Bild eines Baumes, dessen Wurzeln das Hara symbolisiert. Mit den Wurzeln zieht der Baum Wasser als Nahrung zu sich herauf. Auf uns Menschen übertragen heißt das, wir ziehen mit dem Hara (den Wurzeln) kosmische Lebensenergie, auch „Chi“ genannt, aus dem Universum. Von diesen Wurzeln ausgehend verteilt sich die Energie im Baum bis in die Äste und Zweige hinein. Das sind bei uns die verschiedenen Meridiane – Energiebahnen, die unsere Organe und Funktionen des Körpers mit Energie versorgen. Auf ihnen liegen auch die Akupunkturpunkte. Ziehen die „Wurzeln“ kein Wasser – also keine Lebensenergie durch das Hara aus dem Kosmos – vertrocknet der Baum. Dann haben wir keine oder nur wenig Lebensenergie.

Im östlichen Verständnis ist der Bauch unser Zentrum, das Zentrum unseres Wesens. So gibt es viele traditionelle Körper-, Atem- und Achtsamkeitsübungen, die die Kraft des Haras stärken und kultivieren. Das Hara ist auch der Platz, aus dem japanische Schwertkämpfer, Zen-Bogenschützen oder Kalligraphiemeister ihre Energie schöpfen. Viele Buddhastatuen haben dicke Bäuche – viel runder, als sie im realen Leben gewesen sein können. Sie sind aber ein Zeichen dafür, wie viel Achtung dem vollen Bauch geschenkt wurde. Ein runder Bauch symbolisiert ein großes Hara und viel Lebensenergie.

In der westlichen, wissenschaftlich orientierten Welt ist der Glaube allgemein verbreitet, dass unser Kopf, unser Denken uns als Menschen definiert. Der Bauch wird auf die Verdauung der Speisen reduziert und somit auf ein dem Kopf untergeordnetes Organ. Neueste wissenschaftliche Forschungen belegen aber, dass im Darmgekröse die gleichen Gehirn- und Nervenzellen vorhanden sind wie im Kopf. Im Bauch werden wichtige Botenstoffe produziert, die unsere Stimmungen und Gefühle steuern und bestimmen. Emeran Meyer („Der Bauch – das 2. Gehirn“/GEO 11/2000), ein Neurowissenschaftler aus Amerika, vermutet sogar die Ursache von Depressionen in einer Fehlfunktion der Bauchhirnzellen. Demzufolge bildet das „Bauchhirn“, ein neuer Ausdruck der Gastroenterologie, im kompliziert verknüpften Zusammenspiel mit dem Kopfhirn unser Unterbewusstsein. Soweit die jüngste Wissenschaft.

Der Bauch gilt seit jeher als Sitz unserer Intuition. Im Volksmund weisen viele Redewendungen auf seine Bedeutung hin: „aus dem Bauch handeln“,  „erstmal verdauen müssen“.

Wir Frauen quälen uns durch Schönheitsideale, die wir uns von außen aufdrängen lassen, und verleugnen unsere natürliche Weiblichkeit. Gerade in Deutschland wird das weibliche Prinzip mit seinen Qualitäten wie Weichheit, Hingabe und Gefühl abgelehnt und unterdrückt. Durch künstliche Ideale, denen wir hinterherjagen, verlieren wir die Verbindung zu unserer Quelle, schnüren den Bauch ab und hindern ihn so daran, uns so anzunehmen, wie wir sind.

Den Bauch abzulehnen heißt auch, sich von der Kraft des weiblichen Fühlens abzuschneiden, sich selbst „den Saft abzudrehen“. Und zwar deswegen, weil so der Bauch nicht richtig funktionieren und produzieren kann. Die Chemie stimmt ganz einfach nicht, wissenschaftlich gesagt.

Osho spricht vom Hara als dem „Sitz des Willens“. Ohne Verbindung zum Hara sind wir wurzellos und es fehlt uns der Sinn für die eigene Richtung im Leben. Ohne Verbindung zu unserem Hara können wir aber nicht einmal wahrnehmen und unterscheiden, was gut und richtig für uns ist und laufen fremden Idealen hinterher, die uns nur noch weiter von uns entfernen. Dabei steckt im Bauch doch ganz klar die Kraft eines Tigers und die Stille eines Buddhas, das müßen wir doch eigentlich mit liebevoller Aufmerksamkeit nähren und unterstützen.

PS. Im Winter halte deine Mitte schön warm, nimm dir immer wieder eine Wärmflasche auf den Bauch, lenke deinen Atem dorthin und verbinde dich mit deiner Urkraft, deiner Essenz, dem Zentrum.

Das Hara-Buch von Osho

Hara Expertin Anando Würzburger: hara-awareness.de

Der kluge Bauch

 

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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  • Christine
    30. November 2013 at 9:11

    danke.

  • Kaerlighed_Madhavi
    30. November 2013 at 10:52

    gern!

  • Kathrin
    30. November 2013 at 11:21

    Das muss unter die Leute! Wie gerne würde ich diesen Artikel auch auf meinen Blog stellen…. den grössten Teil meines Lebens habe ich als ‚Bauch-Hasserin‘ verbracht…. wenn wir uns mittlerweile auch angefreundet haben, so hadere ich doch noch immer mit seinem Erscheinungsbild…
    Sehr wertvoller Artikel Madhavi 🙂

  • Hara – Sitz der Willenskraft | love.breathe.shine.
    30. November 2013 at 17:06

    […] Ich freue mich, dass ich verlinken darf, hier geht’s lang: Hara – Sitz der Willenskraft. […]

  • seeds for fortune
    30. November 2013 at 21:35

    Eine schöne Zusammenfassung, danke dafür !!!

  • Nadine
    1. Dezember 2013 at 10:31

    Toller Artikel, die Meditation werde ich mir sofort kaufen!

  • Heike
    1. Dezember 2013 at 13:42

    Da kann ich mich Kathrin nur anschliessen… aber dennoch ist halt auch das viele
    Fett am Bauch das gefährlichste 🙁 und dagegen tu ich mittlerweile was. Hübschen ersten Advent euch allen! Heike 🙂

  • Kaerlighed_Madhavi
    1. Dezember 2013 at 19:37

    🙂

  • Valerie
    5. März 2015 at 14:14

    Danke, Madhavi, das habe ich heute gebraucht, an einem Tag, der schon ab den Weckerklingeln schief lief und ich mich mit einer beginnenden Migräne rumschleppe.
    Mein Mann lacht mich immer mit meiner Wärmflasche auf dem Bauch aus, jeden Abend liege ich momentan so am Sofa und intuitiv (…. aus dem Bauch heraus 😉 ) habe ich das richtige gemacht und versucht, mich zu erden. Mein Bauch und ich, wir sind nach drei Schwangerschaften keine großen Freunde und immer denke ich ‚da geht doch noch was/ich sollte aber mal/warum ist er denn/etc.‘ Nicht nett, ich weiß und ich werde mich mal daran machen, das zu ändern.

    Ganz liebe Grüße an Dich! :-*

  • Madhavi Guemoes
    5. März 2015 at 14:15

    Sehr gut! Gute Besserung, Valerie!

  • Nadine
    5. März 2015 at 17:14

    Jahrelang habe ich mich mit vielen Problemen in meiner Mitte herumgeschlagen, wobei mir kein Arzt wirklich helfen konnte. Ich war nie in meiner Mitte. Ich tat es ab, war sehr viel mehr mit Depression, Migräne, Asthma, vielen Infekten und weiteren „Querelchen“, beschäftigt. Ich fand Yoga. Und ich fand einen ganzheitlich orientierten Arzt, welcher den Darm passioniert in den Mittelpunkt rückte. Bei meinem Befund rieb er sich glücklich die Hände und erklärte mir, dass meine Mitte die Ursache allen Übels sei. Er half mir, das Organische ins Lot zu rücken. Yoga und Meditation half mir, meinen Geist zu beruhigen und Wurzeln ins Leben zu schlagen. Meine Intuition, meine „Bauchstimme“ also, ist mir heute ein sicherer Führer. Mein Bauch sagt mir sowohl bei stofflichen als auch bei feinstofflichen Belangen, was ich wissen muss. Sicherlich auch Dinge, die sich über Reifung und Erfahrung manifestierten. Aber ich bin ganz sicher, dass das, was wir wissen müssen, in unserer Mitte zu finden ist.

  • Die Kraft der Körpermitte | TreibgutYoga
    31. März 2015 at 16:02

    […] Wer mehr über die Körpermitte erfahren will, findet auf dem wunderbaren Yoga-Blog von Madhavi einen schönen Artikel http://www.madhaviguemoes.de/hara-sitz-der-willenskraft/ […]