Column

Madhavi & das Leben // Aus die Maus!

16. März 2023
madhavi-guemoes

Vor ein paar Tagen las ich einen Artikel, in dem verkündet wurde, dass die Produktion von Wrigley’s Spearmint eingestellt wird. Das traf mich mitten ins Herz, nicht, weil ich trauern würde, dass eine Kaugummi-Sorte nicht mehr hergestellt wird, nein, es war eher die tragische Vergänglichkeit, die mich zum Nachdenken anregte. Ich erinnerte mich an meine Kindheit, an die vielen Osterfeste, in denen meine Osterkörbe mit Wrigley’s Spearmint gefüllt waren, weil ich so unheimlich wild danach war. Manchmal ertappte ich mich, dass ich drei Kaugummistreifen gleichzeitig im Mund hatte. Zu öde war es doch, wenn der frische Geschmack verschwand. 

Wenn ich Glück hatte, waren auch einige Packungen Big Red dazwischen, dieser aggressive Zimtgeschmack, hach, ich habe ihn geliebt. Damit verband ich Frühling, Leichtigkeit, endlich wieder mit Sandalen auf meinem BMX Fahrrad um den Block flitzen, die Knie blutig vom Klettern, die Welt lag mir, mit meinen sechs Jahren, einfach zu Füßen. 

Am selben Tag teilte mir mein Verlag mit, dass mein Buch “Stay True – Wie du deine Wahrheit lebst” vergriffen ist und sie keine weitere Auflage drucken würden. Die Preise für Papier und Lagerkosten wären unglaublich in die Höhe geschossen, das würde sich nicht lohnen, außerdem gäbe es keine große Nachfrage mehr. Aus die Maus. Ich musste schlucken, denn 1. hatte ich das gar nicht mitbekommen und 2. war ich betrübt, dass es mein Buch nicht mehr geben würde. Flink schüttelte ich das Gefühl wieder von den Schultern. Nützt ja nichts. Schreibe ich halt ein neues Buch. Und verlege es selbst.

Haare futsch

Neulich, als ich in New York war, hatte ich plötzlich eine Beule am Vorderkopf. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie die dort hinkam. Nach ein paar Tagen war die Beule weg und gleichzeitig auch die Haare, die dort wuchsen. An einer wirklich unglücklichen Stelle. Sie sind bis heute nicht mehr erschienen, mir ein Rätsel. Täglich bespreche ich diese Stelle und ermuntere meine Haare, sich dort wieder zu versammeln. Ich schätze meine Haare seitdem viel mehr, ich habe sie bisher für selbstverständlich angesehen. 

Das Leben und die Momente darin sind zart und vergänglich, die letzten zwei Jahre ist mir das so viel bewusster geworden. Auch das soziale Leben hat sich so stark verändert, damit muss man erst einmal klarkommen. Menschen, mit denen ich früher wöchentlich durch die Gegend gezogen bin, geben keinen Pieps mehr von sich. Vor ein paar Monaten hatte ich eine wirklich merkwürdige Situation. Ich traf auf eine Bekannte in einem Foyer.

Wir telefonierten vor Corona regelmäßig und trafen uns auch oft zum Essen. Ich mochte sie aufrichtig. Nun hatten wir uns sechs Monate (Corona bedingt) nicht gesehen. Ich sah sie im Sessel sitzen, mit ihrem Computer auf dem Schoß. Ich freute mich wie eine Schneekönigin, sie zu sehen und kam lächelnd auf sie zu. Sie schaute kurz auf und meckerte über irgendetwas in ihrem Computer. Kein Hallo. Kein „Schön, dich zu sehen, lang ist es her.“ Sie ließ mich komplett auflaufen. 

Wie ein begossener Pudel schlürfte ich nach Hause und war wirklich fassungslos. Das ist nicht das einzige Mal, dass mir so etwas passiert ist. Ich habe das Gefühl, viele Menschen haben einen Tunnelblick und sind gar nicht mehr fähig, sich auf andere einzulassen. Oder sie haben keinen Bock mehr. 

Neulich schrieb ich einer alten Freundin einen Geburtstagsgruß, sie schrieb Danke und keine Regung von „Wollen wir uns mal wieder treffen?“ 

Vor der Pandemie sahen wir uns regelmäßig, tauschten uns ständig aus, doch seitdem ist Funkstille. Ich verstehe, jeder hat eine Menge zu tun, das Leben hat sich neu geordnet, doch merkwürdig ist es schon. Auf keinen Fall sollte man es persönlich nehmen. Menschen leben sich auseinander und Freundschaften dünnen sich aus. Das gehört dazu. Bitter ist es manchmal trotzdem, oder? 

Vergänglichkeit lieben lernen

Vergänglichkeit kann uns auf den ersten Blick Angst einflößen, doch sie birgt auch Chancen für unser spirituelles Wachstum. Indem wir uns mit der Vergänglichkeit auseinandersetzen, können wir uns bewusster werden, was wirklich im Leben wichtig ist und uns dabei helfen, uns tiefer mit uns selbst und anderen, die uns wichtig sind, zu verbinden.

Ich sortiere gerade auf allen Ebenen aus, ein und um. Das tut so unglaublich gut. Das Leben, wie wir es kennen, wird nie wieder so sein. Und das ist gut so. Eine Minute zurückschauen und 100 Minuten nach vorn ist meine Devise. Das, was ich heute denke und tue, kreiert mein Morgen. Ich habe keine Angst vor Schnelligkeit oder künstlicher Intelligenz. Ich bleibe neugierig und offen. Mir ist wichtig, mich auf das zu konzentrieren, was gut läuft, welche Menschen mit mir den Weg gehen möchten und wo ich hin möchte. Dafür bin ich auch bereit, auf Kaugummistreifen zu verzichten!

Stay true, Madhavi

Foto © Maria Schiffer

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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  • Claudia Nicolaidis
    16. März 2023 at 15:58

    Du bist eine echte Mutmacherin, Madhavi. Mit deiner Sicht auf die Welt, deiner geerdeten Spiritualität und deiner Neugier gibst du mir so oft einen guten Twist… der meine Bedenkenblase „plopp“ auflöst. Daaaanke von Herzen, schön, dass es dich gibt.

  • Madhavi Guemoes
    16. März 2023 at 16:06

    Das freut mich, liebe Claudia!

  • Klara
    16. März 2023 at 18:40

    Ich finde den Artikel auch sehr gelungen. Toll, dass Du Dir nie den Wind aus den Segeln nehmen lässt und immer weitermachst! Fühle mich Dir sehr verbunden. Liebste Grüße, Deine Klara

  • Tanja
    16. März 2023 at 19:48

    Soooo schön geschrieben ♥️ alles davon kenn ich – bis auf die Sache mit dem Buch, was wirklich unendlich schade ist. Ich lieb‘ es und habe es mir sogar anschließend, nach dem Lesen, tätowiert. Ausserdem vielfach weiterempfohlen, verliehen, verschenkt …
    Woran es liegt, dass die Menschen plötzlich so gefühlt „seltsam“ sind, frag ich mich auch. Nun denk ich mir „dass sind wohl die Zeiten“ und ich bin immer froh, wenn ich bei einem Menschen weiß, woran ich bin. Danke! für ein so deutliches Verhalten, auch wenn es einen im ersten Moment verunsichert, komisch berührt oder vllt. traurig macht … so kann ich es am Ende doch schätzen – das Ende UND den Neubeginn 🌱 in diesem Sinne: Frühlingsgrüße an dich!!

  • Antje Nowicki
    17. März 2023 at 8:50

    Ich Glückspilz habe noch ein Buch von Stay True geschenkt bekommen von meinem wunderbaren Mann! Zum nächsten Workshop nach Ddorf bringe ich es zur Signierung mit!!!! Ein inspirierenden Buch! Lg

  • Sabine
    18. März 2023 at 8:52

    Vielen herzlichen Dank für deine Worte! Merke auch wie manche Freundschaft nicht mehr matchen – und das fühlt sich nicht so gut für mich an.
    Danke für deine Mut machenden Worte❣️

  • Sigrid
    19. März 2023 at 21:11

    Liebe Madhavi, immer wieder inspirierend und Mut machend deine Beiträge zu lesen. Dieser hat mich so richtig getroffen – zuerst bisschen traurig, dann aber doch sehr inspirierend. Vor allem das Thema mit der Vergänglichkeit hast du super beleuchtet. Danke für dein Sein .

  • Sonja
    21. März 2023 at 14:44

    Danke für deine Zeilen.
    Danke für die Inspiration.
    Und am allermeisten: Danke für die wahren Worte!
    Liebe Grüße aus der Ferne,
    Sonja

  • Stefanie
    9. April 2023 at 17:19

    Danke wieder mal für Deine schöne Kolumne … Du sprichst mir aus dem Herzen. Ich habe in den letzten 2 Jahren so viele Freunde verloren, die meisten ganz leise, waren einfach „weg“. Meldeten sich nicht mehr, reagierten nicht auf meine Nachrichten. So ist das wohl im Leben … Ich schaue wieder mehr nach vorn, trauere nicht um die Vergangenheit. Kann man eh nicht ändern. Freunde kommen und gehen … LG Stefanie

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