Letzten Donnerstagabend landete ich auf dem John F. Kennedy Flughafen in New York. Es war ein lauer Herbstabend, wahrscheinlich der letzte, denn danach wurde es bitterkalt. Im Flieger hatte ich Isabel von SODA Books getroffen, mit der ich mir ein Taxi nach Manhattan teilte.
Es gab verschiedene Gründe, warum es mich schon wieder nach New York zog, einer davon war, dass ich in Ruhe mein nächstes Buch schreiben wollte. Weit weg von zu Hause, am besten mit gescheiter Zeitverschiebung, kann ich das am besten, vor allem, weil ich nicht mehr viel Raum bis zur Abgabe habe.
Ich hatte im Vorwege ein Hotel auf der Bowery gebucht. Es war bezahlbar, die Stimmen im Netz waren durchweg positiv und die Bilder sahen auch ganz vernünftig aus. Ich wollte in der Nähe der Yogastudios wohnen, die ich besuchen wollte. Bisher bin ich in New York immer bei Bekannten untergekommen, dieses Mal wollte ich aber komplett allein verbringen. Als ich vor dem Hotel abgesetzt wurde, ahnte ich noch nicht, was auf mich zukommen würde.
Auf dem Gang hoch zum Hotel wurde mir schnell klar, dass ich ganz tapfer sein muss. Links und rechts saßen Junkies, die mich ausgiebig mit Schlafzimmerblick musterten. Es war fast Mitternacht und ich wollte einfach nur pennen. Ich atmete tief durch und lief mit meinem Koffer weiter nach oben.
Am Empfang angekommen, checkte mich eine zugedröhnte Frau ein und las mir im Schneckentempo die Hausregeln vor: Nicht auf dem Zimmer essen wegen der Ratten. Keine Telefongespräche, nur in der „Lobby“ (die mit dubiosen Gestalten gefüllt war). Der eigene Wecker darf nicht gestellt werden, sie würden mich wecken, wenn ich das möchte. Halleluja, dachte ich. Wo bin ich denn gelandet. Eine Stimme in mir flüsterte: Stell dich nicht so an, Madhavi.
Ich kaufte noch einen Adapter, meinen hatte ich mal wieder in Berlin vergessen, um mein nahezu leeres Telefon wieder aufzuladen und betrat mein „Zimmer“. Ich bekam innerlich einen Lachkrampf, und setzte mich erst einmal fassungslos auf mein Bett. Meine Bude war eine zwergenhafte Kabine mit geöffneter Decke, kein Fenster. Die Luft war stickig, unangenehm warm. Vergeblich suchte ich nach einer Steckdose. Pustekuchen. Der Akku meines Telefons war mittlerweile komplett leer, der von meinem Rechner ebenso. Nun war mir doch ein wenig zum Heulen zumute, denn wie sollte ich gute Gedanken für mein Buch bekommen und inspiriert werden, wenn ich in so einer Drogen-Bruchbude hockte? Nicht so anstellen, erwiderte mein inneres Kind, das ist jetzt pures Yoga. Einfach darauf einlassen…
Irgendwann schnallte ich auch, dass es sich nicht um ein Hotel handelte, sondern um ein Hostel. Oder Stundenhotel? Es war ja schon nachts, ansonsten wäre ich sofort wieder abgedüst. In der öffentlichen Dusche setzte sich eine Dame vor meinen Augen erst einmal einen Schuss. Ich verzichtete dankend auf eine Erfrischung.
Ich verstaute meinen Reisepass und Geldbörse unter meinem Kissen. Ich wollte nicht noch weitere Überraschungen erleben. Ich knipste das Licht aus und schloss meine Augen. Ein paar Minuten später hörte ich alle anderen in ihren Kabinen schnarchen. Klar, die Decken waren ja offen. Links neben mir griff jemand immer wieder beherzt in eine Chipstüte, was mich rasend machte. Hinter mir telefonierte eine Frau, obwohl das auch verboten war. Übe dich in Gelassenheit, Madhavi, dachte ich.
Bitte lasst mich einfach schlafen!
Irgendwann, ich war gerade dabei, mich selbst mit Mantren zu hypnotisieren, um endlich einschlafen zu können, fing eine Frau an, wie ein abgeschlachtetes Schwein rumzuquicken. Ich saß senkrecht im Bett und fühlte mich, als wäre ich in einem falschen Film gelandet. Die Polizei rauschte ran. Noch mehr Gekreische. Es war mittlerweile drei Uhr nachts und ich hatte noch immer keine Minute gepennt. Kurz überlegte ich, ob ich mich anstelle, oder es doch besser wäre, aus dem „wasauchimmer“ wieder auszuziehen. Erst mal zum Yoga, beschloss ich.
Im Golden Bridge Yoga, dem Yogastudio von Gurmukh kann man morgens um fünf Uhr Yoga machen. Das war mir ganz recht. Ich stand um 4.35 Uhr startklar vor dem Yogastudio und ahnte irgendwie, dass das nichts wird. Ich prüfte online den Stundenplan und hatte recht. Heute würde die Yogastunde um fünf Uhr ausfallen. Aber nur heute. Ich war kurz davor, vor Müdigkeit durchzudrehen, riss mich aber zusammen.
Zurück in mein Zimmer wollte ich auf keinen Fall. Der einzige Laden, der um fünf Uhr aufmachte, war Starbucks. Also setzte ich mich dort hinein und lud endlich mein Telefon wieder auf.
Man muss nicht immer alles aushalten
Morgens um fünf Uhr in Manhattan bekommt man ganz gut mit, wie hoch die Armut in dieser Stadt ist. Ich verteilte meine frisch gezogenen Dollarnoten wie Kaugummi, denn ich ertrug es nicht, dass sich die anderen keinen warmen Kaffee leisten konnten.
Ich musste mich entscheiden. Halte ich es durch, in der Crackhöhle zu wohnen, schließlich habe ich die 400 Euro schon bezahlt, oder suche ich mir ein anderes Hotel? Bin ich vielleicht nicht flexibel genug im Kopf? Bin ich zu verwöhnt? Ich entschied mich für ein neues Hotel und machte mich im Morgengrauen auf die Suche. Das war nicht einfach, wer die Preise in New York kennt, der weiß, was ich meine. Ich fand letztendlich online das einzige Hotel, das für mich bezahlbar war: The Ludlow Hotel um die Ecke und buchte es. Schlimmer konnte es eh nicht werden.
Ich holte meine Sachen aus der Bruchbude und versuchte mein bereits bezahltes Geld wiederzubekommen. Mit viel Einfühlungsvermögen schaffte ich es auch. Schon wieder überall Polizei, Prostituierte und Junkies.
Zwei Straßen weiter bezog ich mein neues Hotel im 18. Stock mit Aussicht auf ganz Manhattan. Ein Traum. Ich ließ mich auf mein Bett fallen. Atmete tief durch und war heilfroh, diese Erfahrung gemacht, und bestens für mich gesorgt zu haben. Selbstfürsorge ist so wichtig! Manchmal bedeutet Flexibilität auch, etwas nicht auszuhalten. Den feinen Unterschied zu erkennen, ist für mich ebenso Yoga!
#staytrue
Madhavi