Column

Madhavi & das Leben: Über graue Haare, Tanzverbot und Harry Styles

20. April 2022
madhavi-guemoes

Anfang des Monats war mein 46. Geburtstag. Wie jedes Jahr freute ich mich riesig darauf, und nach zwei Jahren Corona noch viel mehr. Nicht, dass ich eine riesige Fete geschmissen hätte, aber das Gefühl, wieder unter Menschen zu sein, die man sehr gern hat, war schon Balsam für die Seele.

Morgens ging ich mit meinem Mann frühstücken, wir plauderten über das Älterwerden und meine Erlebnisse der letzten Woche.

Vor ein paar Tagen wachte ich morgens auf, schaute im Bad in den Spiegel und dachte: “Wie zum Henker konnte ich über Nacht so viele graue Haare bekommen?” Ich habe viele Freundinnen, die schon seit vielen Jahren mit grauen Haaren leben oder auch nicht. Sie haben sie zumindest, bisher wurde ich davon verschont.

Doch plötzlich war meine ganze Birne voll davon. Und ich möchte ganz ehrlich mit euch sein. Ich liebe das Älterwerden. Ich genieße es und habe persönlich gesehen kein Problem damit. Ich habe kein Botox oder anderes Zeugs im Gesicht, ich trage noch nicht mal mehr Make-up. Meine Haut darf den ganzen Tag atmen, ich creme sie seitdem auch viel mehr ein, was sie liebt. Ich trage höchstens Wimperntusche, aber auch das nicht immer.

Ich habe nichts zu verstecken. Doch bei silbernen Haaren hört es bei mir auf. Ich finde sie wunderschön und elegant an manchen Frauen, doch meinen Geschmack treffen sie nicht. Ich kann diesem Trend “ich stehe zu meinen grauen Haaren” nichts abgewinnen und habe nicht vor, mich da einzutönen, sollte es bei mir so weitergehen.

Graue Haare findet man schön oder nicht. Haare sind totes Gestrüpp und auch, wenn ich seit Jahren meine Naturhaarfarbe trage, kann ich mir gut vorstellen, sie auch zu färben, sollte das mit dem silbernen Krams auf dem Schädel mehr werden.

Happy Wife Silver Life

Ich färbe ja auch meine Fingernägel, warum nicht auch die Haare? Mein Mann ist 58 und hat kaum graue und noch alle Haare, was mir ein Rätsel ist. Es hat auch nichts mit fehlendem Selbstbewusstsein zu tun, wenn man graue Haare jetzt nicht so Bolle findet. Wie gesagt an mir. Bei anderen sieht es oft entzückend aus.

Graue Haare sind nicht grau, sie sind farblos. Keine Farbe. Ich bin noch nicht so weit, farblos durch das Leben zu gehen. Mal schauen, ob sich diese Meinung vielleicht wieder ändert. Übrigens: Meinungen dürfen sich generell zu jeder Zeit ändern, das ist eine wundervolle Freiheit, die wir haben! Zumindest werdet ihr von mir keinen “happy wife silver life” Instagram Account erspähen, versprochen!

Das Gespräch mit meinem Mann ging weiter. Wir sprachen über Urban Outfitters, wie wir früher so gern dort shoppen waren und immer etwas Tolles gefunden haben. Und wenn wir jetzt mit unseren Kindern den Laden betreten, das Gefühl haben, einfach aus dem Sortiment gefallen zu sein. Es gibt selten noch etwas für uns, außer vielleicht Bücher (aber auch nicht wirklich) und anderen Krimskrams. Wie konnte das passieren?

Von einen Tag auf den anderen

Wie kann es sein, dass man von einem Moment auf den anderen zu einer Gruppe Mensch gehört, die sich am besten gleich selbst ausrangiert?

Aber Achtung, ich habe noch weitere Beispiele. Tanzen gehen. Ich sagte zu meinem Mann, ich würde so unglaublich gern mal wieder tanzen gehen. Er lachte. Ich persönlich habe mit mir absolut gar kein Problem. Doch die Welt reagiert um mich herum so anders, nur, weil ich ein paar Jahre älter geworden bin.

Ich bin immer noch die lebenshungrige Madhavi, die sich so viel wohler in sich selbst fühlt als vor 20 Jahren. Und ich würde sagen, dass ich viel fitter und zufriedener bin. Wo geht man bitte jetzt mit 46 Jahren tanzen? Und wo kann ich meinen Mann mitnehmen, der fast 60 ist (aber aussieht wie 40), es ist zum Heulen. Wer jetzt an Ü40 Parties denkt, kriegt von mir virtuell einen kleinen Klaps auf den Kopf. Barfuss Disko? Ich möchte nicht zu Songs wie “I will survive” rumhüpfen. Es sollte für uns ab 40 viel mehr Auswahl geben, mehr Möglichkeiten. Ich wünsche mir eine Welt, in der ab 40 so viel mehr geboten wird. Denn endlich haben wir uns gefunden, sind selbstbewusst, fühlen uns wohl im Körper. Bekommen jedoch von außen ständig erzählt, wir sind zu alt. Für alles. Für jeden. Und es geht so plötzlich.

Neulich passierte es. Ich war beim Yoga in Kreuzberg. Und was soll ich sagen. Ich war die Älteste im Raum. Kein Scherz. Ich konnte es nicht fassen, ich habe es so richtig energetisch gespürt. Ich fühlte mich wie eine nette Tante neben diesen jungen Student*innen. Doch war ich dann auch beruhigt, wie geschmeidig mein Körper dann doch noch war. Wenigstens das.

Zu „creepy“

Einen habe ich noch. Ich hatte heute überlegt, zwei Tickets für das Harry Styles Konzert zu kaufen. Ich mag seine Musik, die macht mir gute Laune. Ich bin jetzt kein Fan, aber dachte, so ein Konzert ist bestimmt Spaß, das dachte ich übrigens, bevor ich die Ticketpreise sah. Meine Tochter mag ihn nicht, will auch nicht mit mir zum Konzert. Mein Mann, der im Musikbusiness arbeitet, meinte gelangweilt, ja, ist sicher gut für meine Arbeit, mir das mal anzuschauen. Das war mir aber nicht gut genug, um ihn einzuladen, wie gesagt, die Ticketpreise sind jetzt nicht ohne. Er hing dann auch noch den Satz “Wir wirken auf dem Konzert wie Großeltern zwischen den kreischenden Teenies, das ist dir schon klar, oder?” an.

Dann entschied ich, allein zu gehen und meine Tochter rief nur: “Boah, wie creepy, wenn Frauen über 40 allein zu Konzerten von Typen wie Harry Styles gehen, hör doch einfach nur seine Musik…..”

So weltoffen und tolerant meine Familie auch scheint, in ihren Augen bin ich wohl irgendwie schon ein Großmütterchen, die sich ihrem Alter entsprechend zu verhalten hat. Doch wie verhält man sich mit 46, wenn man sich so unglaublich fidel und fit fühlt und denkt, man könnte die Welt umarmen?

Ich muss nicht beweisen, dass ich noch am Leben bin

Ich gehöre ja nicht zu der Sorte Frauen, die nicht versteht, dass sie eine reife Frau ist, obwohl ich diesen Begriff abscheulich finde. Ich muss jetzt nicht auf Teufel komm raus auf jung machen, mit glattgebügeltem Gesicht in kurzen Röckchen durch die Gegend stampfen, um der Welt zu beweisen, dass ich noch am Leben bin.

Aber ich könnte. Und ich würde, wenn ich wollte. Das ist ein großer Unterschied. Aber ich habe gar nicht das Bedürfnis. Doch Grundbedürfnisse wie Konzerte und tanzen gehen, sollten keine Entscheidungen sein, die mit dem Alter zu tun haben. Wir, die schon über 40 sind, können uns doch nicht einfach wegwischen lassen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir jede Menge Spaß im Leben haben und das nicht nur auf Barfuss Parties mit esoterischen Geplänkel auf irgendwelchen Pilzen. Wer will das schon? Ich auf jeden Fall nicht. Ich möchte weiterhin das machen können, worauf ich Lust habe, ohne darüber nachzudenken, ob das jetzt “creepy” ist. Oder was meint ihr?

x Madhavi

 

P.S. Rechtschreibfehler gehören dazu. Gern geschehen!

Foto Maria Schiffer

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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  • Bettina
    20. April 2022 at 11:16

    Yes!!!
    Dem Sein entsprechend leben aber nicht dem Alter entsprechend sein.

  • Kerstin
    20. April 2022 at 11:49

    Hey Madhavi,
    Ich habe wirklich schallend gelacht bei deinem Artikel… Das habe ich inzwischen hinter mir und ja, ich finde in dem Laden auch nichts mehr.
    Das Schöne am Älterwerden ist tatsächlich, dass der Kopf noch 20 ist und der Rest eben Falten wirft und farbloser wird.
    Mir ist das Wurscht , auch wenn meine Kinder den Kopf schütteln.

    Ich wünsche dir ein buntes Leben

    Viele Grüße Kerstin

  • Nowshine
    20. April 2022 at 11:53

    Liebe Madhavi,

    ich gehe mit euch tanzen!
    Ich habe erst gestern zu meinem Mann gesagt, dass wir seit Jahren nicht mehr tanzen waren. Und ich gehe mit dir auf das Konzert!
    Also bildlich gesprochen, denn ich wohne nicht gerade bei sir um die Ecke 🤣
    Was ich sagen will ist, dass ich alles fühle, was du schreibst und denke, dass sehr viele Frauen so fühlen. Wir wissen manchmal nicht wohin mit unserer Lebenslust und Freude am Leben.
    Where‘s the party?!

    Liebste Grüße, Doro von nowshine

  • Andrea
    20. April 2022 at 14:01

    Hahaha! Just: 🤟🏻 I love you.
    Was für ein passender Kommentar. Werde dieses Jahr 50, habe einen besseren Musikgeschmack als meine 3 Kids (17, 15, 10) und fühle mich auch, trotz langsam immer mehr werdenden grauen Antennen auf dem Kopf nicht wie eine Oma.
    I feel you! Lassen wir uns einfach weiter nicht abspeisen.

  • Cathleen
    20. April 2022 at 19:03

    Ach Madhavi, du sprichst mir aus dem Herzen. Das Thema hatte ich gestern auch mit einer Freundin. Letztlich können wir uns ja entscheiden,
    ob wir uns von den Bewertungen anderer (auch die der Kinder – für die ist aber auch jeder ab 20 schon superalt) von den Dingen abhalten lassen, die wir so gern haben.Ich hoffe, dass du in Berlin oder vielleicht jetzt in London einen Club findest, der Dir den Raum gibt, dich voll auszutoben und einfach wie ein Mensch zu fühlen, der lebendig ist und Spaß hat.

    Viele liebe Grüße, Cathleen

  • Annette Fahrtmann
    20. April 2022 at 23:55

    Für das Tanzen gibt es eine Lösung: de Far Out Party Dienstags im Maxxim, U- Bhf. Ku- Damm, bin nächsten Dienstag ab 20:30 Uhr da 💃🏻

  • Ute
    25. April 2022 at 9:09

    Hallo du Schöne,
    i feel you.
    Bin unlängst 42 geworden, hab einige einzelne und eine schöne dicke silber Strähne.
    Und weisst du was, bei mir hat es schon mit mir zu tun, manchmal lieb ich sie und manchmal überleg ich doch zu färben. Gleiches gilt wenn ich unter jungen Menschen tanze (hab bei einem contact improvisations workshop mitgemacht an dem nur junge, aber gut dafür offene Tanzstudentinnen dabei waren).
    An Tagen an denen ich mich wohl damit fühle, scheinen auch die anderen kein Problem damit zu haben, umgekehrt natürlich genauso.
    Was das Tanzen betrifft, ich liebe es und tu es in letzter Zeit regelmäßig, Barfusstanz (i will surwive hab ich da noch nie gehört), Ecstatic dance, Freitanz, es gibt so vieles in die Richtung, sogar hier in Salzburg, es ist genial, und es sind dort bei uns Menschen von 20 – 65/70 und jeder scheint sich sehr wohl zu fühlen. Und befreit. Und lebendig 🙂
    Alles Liebe und eine wunderbare Woche,
    Ute

  • Daria
    25. April 2022 at 10:10

    Ich empfehle Bergheim um 5 Uhr Morgen direkt nach Sadhana. Dann bist du so geladen, dass dich die Drogenleichen nicht stören und dann die Augen zu und bis Mittag tanzen. Wenn man dann raus geht aus der Dunkelheit ins Licht, der Körper noch am vibrieren voller Energie, tolles Gefühl 😉 Trau Dich! Liebe Grüße, Daria

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