Column

Madhavi und das Leben // Was ist schon Freiheit?

2. Juli 2020
madhavi-guemoes

Letztes Jahr, gleiche Zeit. Meine Haare waren blond wie ein Weizenfeld, der Sommer verwöhnte Berlin, so viel Leichtigkeit schwebte in der Luft, ich war unglaublich glücklich. Und viel unterwegs. Nun sitze ich zu Hause, alles ist gecancelt. Wirklich alles.

Eine Freundin aus New York fragte mich heute, ob es mir fehlen würde, das Reisen. „Du bist eine Reisende“, sagte sie zu mir, aber nicht abschätzig, eher verständnisvoll. Viele denken immer, wenn ich unterwegs bin, dass ich ruhelos bin, oder gar Probleme habe. Das ist nicht der Fall. Ich bin ein Freigeist.

Ich bin überall zu Hause, mein Horizont ist immens groß, ich gehöre zu den Menschen, die nicht lange quatschen, sondern zur Tat schreiten. Möglichkeiten ergreifen. Stets über den Tellerrand schauen. Und auch schnell mal an anderen Orten zu finden sind.

Reisen geben mir unglaublich tolle Ideen und Erfahrungen. Fehlen sie mir? Ja! Meine Freunde auch. Würde ich gerade reisen wollen? Nein. Ich habe momentan gar keine Ambitionen, mich irgendwo hinzubewegen. Nicht mal mit der Bahn. Ich bin immer noch zu Hause. Draußen ist mir alles zu kompliziert und vieles wirkt so angestrengt. Japsen nach Normalität, die keine mehr ist. Ich brauche Zeit. Innenkehr.

Ich habe mir gestern ein Video vom Flughafen in Palma angeschaut und sagte zu meinem Mann: „Das würde ich gerade nicht mitmachen, das ist blanker Wahnsinn.“

Ich höre lieber den Vögeln zu, die vor meinem Fenster trällern. Tauche in die Einfachheit. Ich liege viel im Gras uns starre in den Himmel. Und arbeite immens viel. Vielleicht auch zu viel.

Ich fühle mich in meinen vier Wänden wohl, doch sobald ich sie verlasse, bekomme ich keine Glücksgefühle. Also bleibe ich einfach zu Hause. Und warte. Bis alles vorüber ist. Oder anders.

Dankbarkeit

Ich habe mich außerdem wunderbar damit arrangiert, wirklich alles im Internet zu unternehmen. Super praktisch. Ich bin keinesfalls müde von Zoom. Von mir aus könnte ich nur noch so arbeiten, oder meine Freizeit verbringen, es spart so viel Zeit. Ich bin einfach dankbar. Über all die Möglichkeiten, die es gibt. All die Menschen, die ich virtuell treffe. Ich sehe da nicht so einen großen Unterschied, für mich ist schon seit vielen Jahren der virtuelle Raum Realität.

Was mir gerade unglaublich guttut, ist in Erinnerungen zu schwelgen. Ich erlaube mir viele Tagträume, sie sind fantastisch. Seit Jahren mache ich mir für jeden Monat im Jahr eine Playlist. Und diese Playlisten sind natürlich auch mit meinen Reisen verbunden.

Also lausche ich bestimmte Listen, die mir dieses wunderbare Gefühl von Freiheit schenken, es ist wunderbar. Musik ist einfach ein fantastisches Werkzeug, um Leichtigkeit zu erzeugen. Was ich in den letzten Monaten noch mehr  verinnerlicht habe: Freiheit entsteht nur im Inneren. Hatte ich das schon erwähnt?

Wirkliche Freiheit erreichen wir durch Innenkehr. Meditation. Yoga. Oder was auch immer euer Ding ist. 2020 ist das Jahr, in dem wir mit all unseren Mustern und Schattenseiten konfrontiert werden. Ich finde es so spannend.

Wir haben uns jetzt entschieden, nicht in den Sommerurlaub zu fahren. Meine Kinder haben jetzt schon Ferien und spielen im Garten stundenlang Monopoly und hören ABBA. Monatelang Homeschooling. Jetzt acht Wochen Ferien. Manchmal ist mir auch alles zu viel. Alleinsein fehlt mir schon manchmal. Aber möchte man nicht oft das, was man nicht hat?

Ich arrangiere mich ständig. Ich entscheide mich einfach, glücklich zu sein und dem alltäglichen Druck und der Ungemütlichkeit, die immer noch auf verschiedenen Ebenen herrscht, mit Stärke zu begegnen. Es darf ungemütlich sein. Das Leben darf stürmisch sein. Nur wie gehen wir damit um?

Mir hilft meine tägliche Kundalini Yogapraxis sehr und natürlich meine ätherischen Öle. Und klar, es gibt auch Momente, da finde ich alles einfach nur zum Heulen. Aber diese Momente sind zum Glück rar. Für mich eine tägliche Entscheidung.

Hier ein kleines Gedicht, das mir heute zuflog.

Wohin reisen?

Das Herz ist weit

Der Himmel klar

Wohin reisen

Wo werde ich gewahr

Der Blick nach innen

Enorm wach

Der Atem tief

Alles unter einem Dach

Nichts ist verloren

Was gibt es zu sagen

Alles schon da

Entscheidungen treffen

Tiefe und Weite

Stille ergreifen

Wohin werde ich laufen

Was werde ich verstehen

Wenn alles vorbei

Verwurzelungen entstehen

xxx

Madhavi

 

 

© Maria Schiffer

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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  • bettina merz
    2. Juli 2020 at 19:51

    vielen Dank!

    wundervolle klare und einfühlsame gedanken für diese zeit

    und ein Gedicht, was einen in diese Welt und in seine eigene Erfahrungswelt eintauchen lassen kann.

    liebe grüße bettina merz

  • Carmen
    2. Juli 2020 at 21:45

    Ach, du sprichst mir wie so oft aus der Seele, liebe Madhavi. Das tut gut, vielen Dank!
    Liebe Grüße, Carmen.

  • Ines
    3. Juli 2020 at 15:46

    so guuut! danke!

  • Kathrin
    4. Juli 2020 at 10:10

    Ich finde es beruhigend was du gerade beschreibst. Mir geht es nämlich genauso. Ich bin gern zu Hause, lese, mache Yoga, probier neue Rezepte aus. Ich finde es manchmal anstrengend das jeder ein Unterhaltung – und Freizeitgestaltungsprogramm benötigt am Wochenende. Ich habe manchmal das Gefühl, wenn man am Wochenende nichts vor hat, dass man gleich als Langweiler abgestempelt wird. Je mehr man beschäftigt ist, desto „cooler“ wirkt man. Mich überfordert das. Ich muss nicht ständig unterwegs sein in Lokalen, Restaurants, Biergärten und mit 20 Leuten. Ich bin beseelt wenn ich einfach einen Tag mit mir oder meinen Partner genieße. Klar, freue ich mich auch wenn ich mich mit Freundinnen treffe und mich austausche, genauso aber kann ich mich auch gut mit mir selbst beschäftigen. Sogar da bräuchte ich manchmal mehr Zeit mit mir.
    Ich frage mich, was die Leute so toll daran finden mit 100 anderen Leuten bei uns in München an der Isar zu sitzen? Für mich ist das komplette Reizüberflutung.
    Aber jede Person ist anders, und wenn es für sie ok ist, muss es das noch lang noch nicht für mich sein. Das schöne ist, dass ich gelernt habe das alles gut ist , solange ich mich dabei wohl fühle.

  • Sabrina
    5. Juli 2020 at 14:00

    Danke für deine Worte. Ich finde mich darin total wieder und es ist beruhigend, dass es nicht nur mir so geht. 😉 Liebe Grüße

  • Steffi
    10. Juli 2020 at 16:51

    Vielen Dank für diesen wunderbaren Beitrag … ich bin froh, dass es auch anderen Menschen so geht wie mir. Herzliche Grüße nach Berlin … ich vermisse die Stadt und hoffe, bald mal wieder unbeschwert durch den Kiez streifen zu können.

  • Kiri
    15. Juli 2020 at 9:49

    Tolle Gedanken zu diesen Zeiten.
    Magst du uns vielleicht mal deine Playlist zeigen? Liebe Grüsse

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