Seelenfutter

Viparyaya // Wenn falsches Wissen daran hindert, mit dem Herzen zu sehen

13. Dezember 2016

Das kennen sicher alle: Wir begegnen einer Person, die jemanden unfassbar ähnlich ist. Die Mimik, das Aussehen, jede Bewegung. Als wäre diese Person geklont worden. Das Problem: Den Menschen, den wir mit der neuen Bekanntschaft in einen Topf werfen,  können wir nicht ausstehen. Schwups ist der neue, frische Mensch besetzt mit Vorurteilen und komischen Gefühlen. Wir denken, wir kennen jeden Charakterzug, die Fehler, die Schwächen. Unser Gegenüber hat gar keine Chance, sich zu zeigen, denn bei uns ist der Zug schon längst abgefahren. Oft nehmen wir uns auch gar keine Zeit, Menschen kennenzulernen, über die wir vielleicht schon etwas gehört haben. Schublade auf, Schublade zu. Im Yoga nennt man das Viparyaya.

Viparyaya gilt im Yoga Sutra von Patanjali als eine der fünf Chitta Vrittis. Viparyaya bedeutet Irrtum, Fehler, stümperhafte Ansicht. Wir meinen etwas ganz wirklich zu „wissen“. Diese Einstellung hindert uns an einem federleichten Leben, denn wir blockieren uns selbst.

Nehmen wir zum Beispiel eine Rose. Wir sehen sie und sagen „Oh, wie wunderschön.“ Weil die Rose bei uns im Verstand als hübsch abgespeichert ist. Aber wir nehmen die Schönheit gar nicht wahr, wir sind einfach nur furchtbar konditioniert. Wir fühlen die Schönheit nicht. Wir sind nicht offen und bewusst. Sondern vollgestopft mit falschem Wissen. Ein voreingenommener Geist gibt falsches Wissen ganz unbedacht weiter. Vielleicht finden wir Rosen ja überhaupt nicht so Bolle, wie wir sollten….

Im Yogaunterricht denken wir, ah, jetzt kommt diese Yogastellung. Wir haben oft eine akribisch genaue Vorstellung von dieser Position. Sie ist als angenehm oder als extrem anstrengend abgespeichert. Manchmal jubeln wir, weil wir genau wissen, dass wir sie fehlerfrei ausführen können. Oder laufen schnurstracks auf die Toilette, weil wir uns vor Angst in die Hose pinkeln.

Wahrhaftig sehen

Was wäre, wenn wir das Bild, das wir von einer Yogastellung haben, einmal ausblenden und anfangen, die Asanas tatsächlich bewusst zu spüren? Wenn wir die Gedanken liebevoll beiseite schieben, können wir dem tatsächlichen Moment wahrhaft begegnen. Das was ist. Ohne Projektion. Das ist eine ausgezeichnete Übung.

Wir können uns von falschem Wissen lösen, indem wir nicht ständig unsere Vergangenheit hineinbringen, wenn uns etwas Neues im Leben begegnet. Alle um uns herum verändert sich ununterbrochen. Was gestern war, hat heute keine Relevanz mehr. Unsere Augen sind schon so schrecklich trüb von dem, was wir alles glauben zu wissen. Das macht ungeheuerlich alt.

Lasst uns wieder mit den Augen eines Kindes in die Welt blicken. Chancen verteilen. Uns öffnen. Wieder das Herz liebevoll in die Augen schicken. Weg von vorformulierten Informationen. Den Staub, den wir angesammelt haben, abschütteln. Roboterhafte Gedanken liebevoll ziehen lassen. Jeden Moment knallfrisch erleben. Hat was, oder?

#svaha

Madhavi

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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